Für eine Stadt wie Florenz wird das ein kurzer Beitrag. 2012 verbrachte ich fast eine Woche in der Stadt, um mir nahezu alles in Ruhe ansehen zu können. Heuer blieb ich nur zwei Tage, denn von hier aus sollte die Palladian Odyssey 2019 – Umbrien starten.
So großartig ich die Nachtzugverbindungen von Wien nach Italien finde, so furchtbar sind die Abteile, die sich die ÖBB tatsächlich traut als Deluxe zu bezeichnen.
Als ich gegen 6:45 aus dem Zug stieg und einen Blick auf die furchterregende Wettervorhersage warf, fragte ich mich, wieso ich nicht erst am Montag angereist war. Kaum hatte ich die ersten Schritte in Florenz getan, erinnerte ich mich, warum ich früher gekommen war. Egal wohin man geht, man wandelt unter den Augen von Genies. Literatur, Kunst, Wissenschaft, Architektur und Ökonomie erlebten hier ihre "Renaissance". An diesem Ort haben viele große Geister die Fundamente der Neuzeit gelegt und ständig entdeckt man die Spuren, die sie hinterlassen haben.
Leider wurde das Wetter zunehmend unfreundlicher. Dennoch gingen sich am ersten Tag zwei Zeichnung aus. Um die Ponte Vecchio in ihrer Gesamtheit auf Papier zu bringen, musste ich mich mitten auf die Ponte delle Grazie stellen. Kein gemütlicher Ort für Menschen mit Höhenangst.
Santa Croce zählte zu den Monumenten, die ich als besonders eindrucksvoll in Erinnerung hatte, weshalb ich es als einziges erneut besuchte. Keinesfalls wollte ich wie letztes Jahr in Mailand Stunden mit der Zeichnung verbringen, dafür war es ohne hin viel zu kalt. Ich ging die Sache eher locker an und benutzte die Sailor Fude. Ich habe diese Füllfeder erst seit kurzem und es bedarf der Übung mit ihr zu zeichnen, wozu ich in den folgenden Tagen noch Gelegenheit haben sollte. (In diesem Beitrag berichte ich genauer über die Fude de Mannen von Sailor Pen.) Beim Zeichnen entdeckte ich, wie wenig mir die bunte Fassade im Gegensatz zu den einfachen braunen Steinmauern des restlichen Gebäudes gefällt. Auch die Grabmäler imponierten mir diesmal viel weniger. Lediglich das Kenotaph für Dante verblüffte mich wieder. Das Grab des Dichters befindet sich in Ravenna und sämtliche Versuche der Florentiner seiner sterblichen Überreste habhaft zu werden, sind gescheitert. Das wird den Besuchern von Santa Croce jedoch nicht verraten. Ich vermute, die Florentiner haben sich darauf geeinigt so zu tun, als wäre der berühmteste Sohn der Stadt hier beerdigt.
Am späteren Nachmittag wagte ich ein großes Abendteuer: eine Fahrt mit einem öffentlichen Bus. Der Verkehr in Italien ist berüchtigt, aber Busfahren in Florenz ist ein Rätsel eingepackt in ein Mysterium innerhalb eines Geheimnisses. Dabei wollte ich nur hinauf auf die Piazzale Michelangelo, von der man angeblich eine schöne Aussicht genießt. Vom Bahnhof sollte ich den Bus Nr. 12 besteigen, der mich nach ca. 35 Minuten zum meinem Ziel bringen würde. Vielleicht wäre ihm das gelungen, hätte auf einer der Hauptverkehrsadern nicht eine Kunstparade stattgefunden, welche sich im Schritttempo bewegte. Die Anreise dauerte 75 Minuten, die Aussicht war jede davon wert. Es bietet sich ein atemberaubender Blick auf die Stadt. Zurück zum Bahnhof waren es auf einer völlig anderen Route nochmals 45 Minuten. Sicher die längste Fahrt für eine Foto, die ich je unternommen habe.
Der nächste Morgen strafte mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein alle Wetterprognosen Lügen, zumindest für anderthalb Stunden. Hinter dem nüchternen Hauptportal von San Lorenzo (Die Kirche erhielt nie eine Schmuckfassade.) würde man eine kleine Kirche und nicht eine ehemalige Kathedrale vermuten. Geplant hatte ich eine Skizze bei der auch das Längsschiff und Teile der Medici-Kapellen zu sehen wären. Die dafür geeignete Stelle mußte ich ganz schnell wieder verlassen, weil ich unter Lebensgefahr erkannt hatte, daß ein Verkehrsschild, welches darauf hinweist, daß diese Straße momentan gesperrt ist, für Florentiner Autofahrer noch lange kein Grund ist, sie nicht zu benutzen. Als ich endlich einen sicheren Platz gefunden passierte mir etwas absolut Unglaubliches. Ein junger, gutaussehender Mann aus dem angloamerikanischen Raum, der die Nacht zuvor die eine oder andere bewußtseinstrübende Substanz zu sich genommen hatte, fragte höflich, ob er mir zusehen dürfe, was ich bejahte. Plötzlich legte er sich vor mir auf den Boden und machte mir immer noch höflich ein sehr eindeutiges Angebot. (Es beinhaltete das englische F-Wort.) Mir waren beim Zeichnen schon Wasser und Kekse, das allerdings noch nie angeboten werden. Mittlerweile war ein Pärchen aufgetaucht, das augenscheinlich zu dem jungen Mann gehörte. Auf mein Bitten nahmen sie ihn mit, bevor er hätte ernsthaft verletzt werden können.
Mit dem Regen kamen die Straßenverkäufer. Bereits im Vorjahr waren mir die in Mailand seltsam aufgefallen. In Florenz sind sie regelrecht bizarr. Obwohl ich offensichtlich in eine wind- und wasserfest Outdoorjacke, die immerhin der Antarktis getrotzt hatte, gewandet war, wollten sie mir ständig Regenschirme und/oder Regenmäntel verkaufen. Besser wäre gewesen, sie hätten Mützen, Schals und Handschuhe im Angebot gehabt. Es wurde nämlich zusehends kälter.
Während meines Besuchs in der wundervollen Kirche und Klosteranlage Santa Maria Novella nahm der Niederschlag sintflutartige Dimensionen an. Geschützt unter den Arkaden des Klostergangs wartete ich, daß der Regen nachließ und benutzte wieder die Sailor Fude.
Nicht einmal im Winter in der Arktis habe ich derart gefroren, wie an diesem Nachmittag im Zentrum von Florenz. Mir konnte nur mehr eine überteuerte exzellente Heiße Schokolade im Café Rivoire auf der Piazza della Signoria helfen.
Der Abschied von Brunelleschi, Donatello, Dante, Michelangelo, da Vinci, Cellini, Machiavelli, Galileo und all den anderen stimmte mich wehmütig. Daher habe ich mir ihnen zu Ehren ein ganz spezielles Zeichenwerkzeug aus Florenz mitgenommen. Vielleicht färbt damit ein wenig Genialität auf mich ab.