Opernfreunden sind die jährlichen Sommerfestspiele in der Arena von Verona ein Begriff und die meisten waren sicher schon einmal dort. Es ist also nicht ungewöhnlich, diese norditalienische Stadt im Sommer zu besuchen, aber ich war heuer am Anfang der Adventszeit dort. Klingt absurd, ist jedoch sehr zu empfehlen. Verreisen mit der ÖBB ist wenngleich nicht bequem, recht praktisch, da exzellente Verbindungen mit dem Nachtzug angeboten werden.
Die Ankunft mit dem Frühzug ermöglicht einem zuzusehen, wie die Stadt erwacht. Sehenswürdigkeiten, Plätze und Straßen, die zwei bis drei Stunden später überrannt werden, haben in ihrer Verlassenheit im Licht der aufgehenden Sonne einen eigenen Charme, der sogar Langschläfer wie mich in den Bann zieht. Und dafür fährt man im Advent nach Verona? Nein, natürlich nicht. Die Fondazione Verona per l’Arena organisiert in den Arkaden der Arena jährlich eine große Weihnachtskrippenausstellung. Auf Grund von Renovierungsarbeiten fand sie heuer zwar im gegenüberliegenden Palazzo della Gran Guardia statt, was nicht weniger gelungen war. Es gab mehr als 400 Krippen aus aller Welt zu sehen. Der Schwerpunkt lag naturgemäß bei den italienischen Krippen, die mit großer Liebe zum Detail viele Facetten des Alltagslebens zeigen. Insgesamt war es eine grandiose Ausstellung, die es zweifelsohne rechtfertigt, außerhalb der Opernsaison nach Verona zu kommen.
In die Arena kann man trotzdem gehen, sogar viel billiger als im Sommer. In der kühleren Jahreszeit kostet der Eintritt an jedem ersten Sonntag im Monat nur 1 Euro. Der Aufstieg ist mühsam, der Ausblick entlohnt allemal. Die anderen Sehenswürdigkeiten der Stadt stehen einem ebenfalls offen. Viele wandeln auf Spuren des bekanntesten Liebespaars der Welt, wobei es sie nicht kümmert, absichtlich hinters Licht geführt zu werden. Scharenweise strömen Touristen in den Hinterhof eines Hauses, um den berühmtesten Balkon der Welt zu sehen, den auf dem Romeo seine Julia erblickt haben soll. Wäre Romeo wirklich hier gestanden, hätte er lange warten müssen. Erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde ein ehemaliger Sarkophag an die Rückwand des Hauses gemauert, das heute als Wohnstätte der Familie Capulet touristisch vermarktet wird. (Vermutlich ist es dabei gar nicht mehr so wichtig, daß in Shakespeares Stück gar kein Balkon vorkommt.) Ein paar Straßen weiter hat Romeo seinen Balkon, doch der ist längst nicht so prächtig wie der seiner Angetrauten. Dieser Wahnsinn hat Methode – um es mit einem andern shakespeareschen Helden zu sagen. Schon Lord Byron, Heinrich Heine oder Charles Dickens berichteten, wie sie in Verona das Grab der Julia besuchten. Wir bogen auf unserem Spaziergang entlang der Stadtmauer zur Etsch kurz dorthin ab. Ich war sehr erstaunt, eine Hochzeitsgesellschaft anzutreffen. Entweder bin ich nicht romantisch, oder nicht morbide genug um mir vorzustellen, daß ich an diesem Ort gerne heiraten würde. Zum Glück bietet Verona mit zahlreichen alten Kirchen oder dem Castelvecchio inklusive seiner Kunstsammlung historisch anspruchsvollere Sehenswürdigkeiten.
Was wäre eine Adventreise ohne Weihnachtsmarkt? Das fragten wir uns, als wir auf der Piazza Bra vor der Arena nichts von dem groß angekündigten Weihnachtsmarkt sahen. Selbst in dieser Hinsicht ist Verona vielseitig, es verfügt über mehrerer Weihnachtsmärkte. Wir besuchten den auf der Piazza Erbe und der Ponte Castelvecchio. Ersterer bot hauptsächlich touristische Massenware, letzterer auch Kunsthandwerk sowie guten Glühwein.
Oh Wunder, über Nacht waren auf der Piazza Bra Marktstände gewachsen. Wo noch am Tag zu vor nichts war, erhoben sich Sonntagmorgens ein Weihnachtsmarkt, den Diabetiker unbedingt meiden sollten. Ein riesiger Süßwarenstand neben dem anderen: meterlange Lakritzstangen, Tonnen von Schaumgebäck, unzählige Varianten gebrannter Nüsse, Körbe mit Mandelgebäck, Riesenzuckerstangen, sogar ein Schokoladenkebab und jede Menge frittierte Backwaren mit einer industriell gefertigten Haselnußcreme, die Pasta und Pizza als italienisches Nationalgericht abgelöst zu haben scheint. Gekauft habe ich nichts, weil wer in Verona Lust auf Süßes hat, findet die himmlischsten Kreationen in der gemütlichen Pasticceria Flego.
Verona ist immer einen Tagesausflug wert, ganz besonders im Advent. Zugegeben es ist der vielen Besucher wegen ein wenig eng und die Märkte verbreiten nicht gerade Weihnachtsstimmung, dafür sind die überwältigende Krippenausstellung und ein Besuch bei Flego ideale Ruhepole in der keineswegs ruhigsten Zeit des Jahres.