Nordsee – Auf der Suche nach dem Strand

Mein letzter Badeurlaub liegt Jahrzehnte zurück und ich habe mich seither nie nach einer Wiederholung gesehnt. Als ich gefragt wurde, ob ich nicht zwei Wochen an der Nordsee verbringen wolle, stand daher von vornherein fest, wie sich diese Tage gestalten würden. Wir wollten ein reetgedecktes Haus am Strand zwischen Strandkörben und Leuchtturm. Mit dem Leihauto würden wir die Gegend erkunden, eine Überfahrt nach Helgoland machen, eine geführte Wattwanderung unternehmen und ich würde in den Dünen zeichnen. Wo, wenn nicht auf einer Halbinsel namens Nordstrand in Schleswig-Holstein wäre das alles möglich?

Das zugegeben nette Haus hatte kein Reetdach und stand nicht direkt am Strand, aber in Gehweite – einer Salzwiese. Überhaupt sahen wir tagein tagaus viel Gras und wenig … nein, genaugenommen … gar keinen Sand. Soweit das Auge reichte Wiesen mit Schafen, Schafen und nochmals Schafen. Statt Urlaub am Strand hatten wir Urlaub im Grünen.

Nach drei Tagen hatte ich exakt einen Leuchtturm gesehen: das Fliesenmosaik im Badezimmer unseres Ferienhauses. Die Strandkörbe standen fast ausnahmslos in Gast- und Vorgärten. Der einzige Strand, den ich entdecken konnte, waren ein paar Quadratmeter Sand zwischen einem Siel und einer weiteren Schafherde. Nicht nur Schäfchenzählen bekam hier eine ungeahnte Bedeutung. Obwohl Österreicher und Deutsche es vehement in der Öffentlichkeit leugnen, insgeheim verbindet sie einiges, darunter die gemeinsame Sprache, dachte ich zumindest. In Österreich suggerieren die Präpositionen "bei" oder "zum" eine gewisse Nähe. In Norddeutschland verhält es sich anders. Eines Tages kamen wir an einem Haus mit dem Namen "Zum Meerblick" vorbei. Um von diesem Gebäude auf das Meer zu blicken, hätte man sich mit einem Fernrohr aufs Dach legen müssen. Diese Verständigungsschwierigkeiten erklärten vielleicht, weshalb mir fast ausschließlich deutsche Touristen begegneten. Lange Zeit war ich überzeugt, wir zwei Österreicher seien die die einzigen ausländischen Urlauber. Doch wo waren die Dünen, die Strandkörbe, die Leuchttürme? Ganz eindeutig nicht hier! Also brachen wir auf, um sie zu suchen.

Das war gar nicht so einfach, denn wir lernten gleichfalls eine neue Definition von "wechselhaft" kennen. 1999 erlebte ich in Irland innerhalb von 15 Minuten Sonnenschein, Bewölkung, Sturm und Regen. Verglichen mit Nordfriesland waren das beständige Wetterverhältnisse. Ich schwöre, einmal sah ich aus dem Vorderfenster des Hauses und es regnete, während bei einem Blick aus dem Hinterfenster strahlender Sonnenschein herrschte. In kürzester Zeit konnte ich meine Regenjacke blitzschnell auspacken, einpacken, auspacken, einpacken, … Zunächst versuchten wir unser Glück in Büsum, das einen sehr schönen, leider von einer Baustelle verdeckten, Leuchtturm hat. Ein Spaziergang durch die Hafenstraße mit anschließendem Blick auf dem Hauptstrand lehrt uns unser Domizil in Nordstrand richtig schätzen. Sankt Peter-Ording versprach einen Strand mit Parkplatz und die Nähe zu einem berühmten Leuchtturm. Gleich vorweg, wir schafften es nicht zum Strand. Es war einfach zu schön durch den Ort zu spazieren, was wir ausgiebig taten. Daher mussten wir eine Entscheidung treffen. Auf nach Westerheversand! Die Anfahrt entpuppte sich als kafkaeskes Abendteuer. Man sieht den Leuchtturm während der Anfahrt, aber er scheint vor einem zurückzuweichen, je näher man ihm kommt. Wider Erwarten gelangten wir zum gebührenpflichtigen Parkplatz beim Leuchtturm. Wie bereits erwähnt: in dieser Gegend bedeutet "beim" so viel wie "außer Sichtweite". Der Leuchtturm befindet sich 2,6 km weiter hinter einem Deich. Wer also nicht gut zu Fuß ist und dennoch den meistfotografiertesten Leuchtturm der Gegend sehen möchte, benötigt ein Fernglas oder eine gutes Objektiv.

Die zwei Wochen an Nordseeküsten entsprachen keinesfalls meinen Erwartungen, trotzdem waren sie nicht so schlimm, wie es sich liest. Lediglich den Ausflug nach Helgoland, hätte ich mir sparen können. Bei der Hinfahrt war ich seekrank, während des Aufenthalts versuchte ich mich davon zu erholen und bei der Rückfahrt wurde ich wieder seekrank. Nordstrand und seine idyllisch, ruhige Umgebung haben viel zu bieten, sogar eine Windmühle. (Sie wird als Bäckerei genutzt.)

Husum ist eine entzückende Stadt, wo das Theodor Storm-Museum einen ausgiebigen Besuch wert ist. Die örtlichen Teestuben verwöhnen die Gäste neben Tee mit dem berühmten Pharisäer, einer Kaffeevariation, die auf Nordstrand erfunden worden ist, und sensationellen Torten. Bei der Größe orientieren sie sich wie die Wiener Kaffeehäuser nach Gullivers Reisen, nur daß Wien leider Maß an Liliput, Norddeutschland glücklicherweise an Brobdingnag nimmt. Ein besonderes Highlight war die unterhaltsame, aber vor allem lehrreiche Wattwanderung.

Zu guter Letzt wurde ich tatsächlich fündig. Ein Ausflug führte uns ins reizvolle Lübeck. Unsere deutschen Verwandten, die wir leider viel zu selten sehen, organisierten einen großartigen Tag, den wir in Travemünde ausklingen ließen. Und plötzlich sah ich, wonach ich mich gesehnt hatte: Strand, Strandkörbe, Leuchtturm. Alles da – an der Ostsee.

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