Neben der Reise zu den Pinguinen habe ich mir in diesem Jahr einen zweiten Traum erfüllt: eine Zeichenreise. Eigentlich schwebte mir Venedig als Zielort vor. Ich fand einen deutschen Anbieter für einen Urban Sketching Kurs, das Preisleistungsverhältnis war jedoch nicht überzeugend. Im Herbst 2017 hatte ich meinen ersten Videokurs bei Liz Steel gebucht. Trotz meiner Skepsis gegenüber dieser Art von "Unterricht", war ich bereits nach der ersten Einheit so begeistert, daß ich in Folge zwei weitere Kurse belegte. Zu meiner Freude veranstaltet Liz zumindest einmal im Jahr einen mehrtägigen Workshop in Italien. Die sogenannte Palladian Odyssey führt darüber hinaus durch einige der schönsten Orte des Venetos und bietet eine Rundumversorgung an, d. h. außer ums Zeichnen muß man sich um nichts kümmern. Während Liz sich der künstlerischen Seite annimmt, fungiert Mike als Organisator. Zusammen sind sie unschlagbar, weil in dieser Woche alles perfekt funktionieren sollte.
Nach einer wenig empfehlenswerten Zugfahrt und einem mittelmäßigen Besuch in Mailand, traf ich zum vereinbarten Zeitpunkt in einem Hotel in Vicenza auf meine Reisegefährten. Wir waren 12 Kursteilnehmer aus 9 verschiedenen Ländern, die in einem kleinen Bus durch Norditalien fahren und vom Frühstück bis zum Abendessen nahezu die gesamte Zeit miteinander verbringen würden. Die beste Voraussetzung für soziokulturelle Katastrophen aller Art. Als jemand, der Gruppenveranstaltungen allgemein und Gruppenreisen im Besonderen zu vermeiden versucht, hatte ich wirklich die eine oder andere Befürchtung. Tatsächlich wurde es eine der unterhaltsamsten und schönsten Reisen meines Lebens mit ausnahmslos reizenden, interessanten, kultivierten, lustigen und vielschichtigen Leuten.
Beim Lesen des Reiseplans stellte ich mir vor, wie ich in der idyllischen Landschaft vor schmucken Villen zeichnen würde. So war es tatsächlich, das Zeichnen allerdings artete richtig in Arbeit aus. Mindestens zwei Workshops pro Tag, wobei in jedem mindestens eine Zeichnung erwartet wurde und das unter realen Reisebedingungen. Egal ob Regen oder Sonne, kniehohes Gras an der Uferböschung oder enervierende Straßenmusiker, Liz ließ uns zeichnen – dabei hatten wie so viel Spaß und lernten so viel! Es war herrlich.
Im Ca' Marcello, einem der Häuser, das seit Jahrhunderten in Familienbesitz ist, begann es vergleichsweise gemütlich. Die erste Zeichnung entstand nach Augenmaß. Das bereitete mir diesmal weniger Schwierigkeiten als daheim.
Der Anforderung nur mit Aquarellfarben ohne Vorzeichnung ans Werk zu gehen, konnte ich schwer bis gar nicht gerecht werden. Der erste Tag hatte mich so geschafft, daß ich am späteren Nachmittag zu müde war, die Villa Cornaro zu zeichnen, was mir rückblickend wirklich leid tut. Es war die erste Palladio Villa, die ich besuchte.
Die Villa Maser ist sehr bekannt, aber nicht unbedingt typisch für Palladio. Vor allem Veroneses illusionistische Fresken widersprechen dem palladianischen Konzept. Monica, unsere örtliche Reiseführerin, die uns während der nächsten Tage zur Seite stand, erweckte in mir nach und nach eine Begeisterung für Palladio, die ich nie für möglich gehalten hätte. Die lange Fassade auf ein Blatt zu bringen, verhinderte daß man sich in den Details verlor.
In der zweiten Aufgabe ging es dann genau um die architektonischen Details. Ich mußte mich sehr konzentrieren, um ja keines zu übersehen. Extra für diese Reise hatte ich mir die braune Tinte von de Atramentis besorgt (Kein leichtes Unterfangen!). Auf dem glatten Papier der Stilman & Birn Epsilon Serie trocknet die Tinte nicht so schnell und läßt sich mit Wasser noch ein wenig verwischen.
Nach einer Fahrt durch enge kurvige Gässchen erreicht man das (leider nicht autofreie) Zentrum von Asolo. Eine sehr schöne Stadt mit einem herrlichen Panorama. Hier packte mich der Ehrgeiz, lediglich Pinsel und Farbe zu verwenden. Das Ergebnis war niederschmetternd. Liz gab zwar hilfreiche Tips, was diesem Werk allerdings auch nicht mehr viel weiterhelfen konnte.
Für den Blick auf den Hauptplatz wählte ich wieder meine herkömmliche Methode mit Vorzeichnen mit Aquarellstift, Linien in Tinte und Aquarellfarbe. Das Ergebnis entschädigte mich für den vorangegangen Mißerfolg.
So einfach wollte ich mich nicht geschlagen geben. Die Zeit bis zum Abendessen nutze ich, den Kirchenturm in verschiedenen Techniken zu zeichnen. Dabei entdeckte ich, daß ich mit dem Moppinsel aus Eichhörnchenhaar, der viel Wasser aufnimmt und den ich bis dato nur für das Malen des Himmels benutzt hatte, bessere Ergebnisse erzielen konnte als mit dem schmalen Dolchpinsel. Mit der letzten Version des Kirchturms hatte ich genau die Art von Zeichnung erreicht, die ich mir vorgestellt hatte.
Meine neuerworbenen Kenntnisse setzte ich am nächsten Tag bei der Villa Emo um. Den Charakter der Skizze betonte ich durch die Linien der Vorzeichnung, für die ich absichtlich eine Farbe wählte, die nichts mit dem tatsächlichen Gebäude zu tun hatte.
Das ist eine richtige Palladio Villa. Erst hier offenbarten sich mir die Faszination der Symmetrien, die Symbolik, die Ökonomie sowie die Symbiose von Ästhetik und Funktion.
Bassano del Grappa ist ein weiteres Kleinod des Venetos. Die berühmte Brücke entstand nach einem Plan von Palladio. Zwischenzeitlich wurde sie mehrmals erneuert, man hielt sich dabei aber immer an den Entwurf. Als ich auf der Website der Palladian Odyssey eine Foto davon sah, durchfuhr mich ein Schreck: "Die erwarten aber nicht von mir, daß ich das zeichne!" (Wie ich später erfuhr, war ich nicht die einzige, die sich das dachte.) Dabei war die Brücke längst nicht so schwer, wie die Stadtansicht im Hintergrund. Für die Häuser hatte ich kaum etwas vorgezeichnet und auf Umrisse in Tinte verzichtet. Dadurch sahen sie zunächst sehr flach aus, was durch die Schattierung behoben werden konnte. Für die Fensterläden verwendete ich Aquarellstifte, was wesentlich zur Schnelligkeit beitrug. Bei der Brücke waren besonders die Tragepfeiler kompliziert, weil sie viel flacher sind, als man vermuten möchte.
Vicenza weist sicher die höchste Dichte an Palladio Bauten auf und ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Es ist eine reizende, beschauliche Stadt, die der Massentourismus (noch) nicht entdeckt hat. Gut zwei Dekaden nach der Basilica baute Palladio gegenüber die Loggia del Capitanio. Von diesem Bau fühlte ich mich am wenigsten angesprochen. Ich vermisste die Klarheit, die ich an der Villa Emo so schätzen gelernt hatte.
Vielleicht waren meine Gedanken aber auch bei einem andern Werk von Palladio. Für promovierte Theaterwissenschaftler ist ein Besuch im Teatro Olimpico obligatorisch. Zugegeben, das besticht auch nicht gerade durch Schlichtheit. Die Perspektive des Bühnenbaus ist allerdings überwältigend. Selbst wenn ich genügend Zeit gehabt hätte, dieses Meisterwerk ist zu komplex, um von mir auf Papier gebannt zu werden, weshalb ich mich mit einer Zeichnung vom Eingang begnügte.
Hier ging die wunderbare Odyssey leider zu Ende. Ich hatte so viel gelernt, gesehen und erlebt. Mike zeigte uns ein Italien, von dem ich nicht einmal ahnte, wie schön es ist. Liz brachte uns Dinge bei, von denen ich nie gedacht hätte, daß man sie mit einem Pinsel überhaupt machen kann.
Obwohl ich überzeugt bin, daß mit einem Aperol Spritz alles besser geht, stimmte mich der Abschied traurig. Ich würde das Zeichnen und ganz besonders diese unvergleichliche Gruppe vermissen. Mein einziger Trost lag darin, daß die Reise von Vicenza nicht nach Hause sondern nach Venedig ging.