Auf dem Weg zur Palladian Odyssey 2018 legte ich einen Stop in Mailand ein. Da ich weder Mailand noch Padua kannte, wußte ich anfänglich nicht, welche Stadt ich übers Wochenende besuchen sollte. Sämtliche Leute, die ich fragte, waren sehr hilfreich: 50 Prozent waren für Mailand, 50 Prozent waren für Padua. Gewonnen hat dann Mailand, weil der Zug in Padua gegen 5 Uhr morgens angekommen wäre. Dabei mußte ich schon glücklich sein, überhaupt so weit zu kommen. Die Österreichische Bahn nimmt es mit ihrer Verpflichtung die Passagiere wie vereinbart an ihren Bestimmungsort zu bringen nicht so genau (mehr dazu: Was die ÖBB unter Luxus versteht). Von den zweieinhalb Tagen wollte ich zumindest einen halben fürs Zeichnen verwenden. Tatsächlich hatte ich schon am späten Nachmittag das Pflichtprogramm absolviert. Ich stand vor dem Dom (25 Euro um ohne Schlangestehen hineinzugehen, waren mir zu teuer. In Venedig kostet das gerade mal 2 Euro!), spazierte durch die Galleria Vittorio Emanuele, besuchte das Museum der Scala, wanderte von einer Seite der Festung auf die andere (Die Sforzas durften wirklich Angst gehabt haben.), stand plötzlich vor dem Piccolo Teatro Strehler und fuhr ins quirlige Navigli-Viertel. Bevor ich am Abend noch in eine nicht gerade beeindruckende Multimedia Ausstellung über Leben und Werk Leonard da Vincis ging (Auch hier ist Venedig eindeutig der Vorzug zu geben.), zückte ich den Pinsel. Ich weiß, daß jeder bei Mailand sofort an den Dom denkt. Vermutlich der Opernbegeisterung in meiner Jugend wegen, war für mich Mailand immer gleichbedeutend mit dem Teatro della Scala. Am Vormittag wäre ich beinahe vorbeigegangen, so unscheinbar ist dieses Gebäude. Nichtsdestotrotz war das für mich eine sehr wichtige Zeichnung.
Am nächsten Tag stellte ich mich dem Unvermeidlichen: die Fassade des Mailänder Doms. Wie ich in Liz Steels Onlinekurs "Buildings" gelernt hatte, ist es hilfreich nach Quadraten zu suchen. Gesucht habe ich, gefunden habe ich nur keine. Für diese Zeichnung benötigte ich zweieinhalb Stunden. Während ich auf den Stufen des Denkmals von Vittorio Emanuele II. saß, wurde ich von einer entzückenden ungarischen Touristin mit Wasser und köstlichen selbstgemachten Keksen versorgt. Außerdem unterstützte sie mich im Kampf gegen die Vögel. Alle Tauben, die vom Markusplatz und Trafalgar Square vertrieben worden sind, haben in Mailand ein neues Zuhause gefunden!
Abends passiert, was seit Tagen angekündigt war, der Himmel öffnete seine Schleusen. Wenn es in Mailand regnet, verschwinden die Menschen, die einem zuvor im Abstand von 20 Metern das identisch gemusterte Seidentuch verkaufen wollten, um durch Leute ersetzte zu werden, die einem Schirme und Regenmäntel anbieten. Diese Verkäufer schrecken nicht davor zurück, die schonungslose Wahrheit auszusprechen. Als ich am Domplatz trotz dunkelgrauer Wolken sowie herabfallender Wassermassen erklärte, ich würde keinen Regenschirm benötigen, entgegnete mir einer der Verkäufer: "Aber es regnet." Ich muß offenbar einen sehr unintelligenten Eindruck auf meine Mitmenschen machen, oder zumindest auf jene, die Regenschirme verkaufen.
Selbst bei Regen kann man Italien zeichnen, weil es irgendwo sicher Arkaden zum Unterstellen gibt, so auch gegenüber der Galleria Vittorio Emanuele. Nachdem ich dort meinen Stockerl aufgebaut und mein Buch aufgeschlagen hatte, entdeckte ich, daß meine Füllfeder, meine Aquarellstifte und meine Pinsel, ganz im Gegenteil zu mir nicht naß werden würden, da sie allesamt auf dem Schreibtisch im Hotelzimmer standen. Ich hatte lediglich einen schwarzen Fineliner mit. Im Gegensatz zum Dom entdeckte ich hier sofort ein Quadrat, von dem ich mich langsam in beide Richtungen weiterarbeitete. Auf diese Zeichnung bin ich wirklich stolz, weil sie komplett ohne Vorzeichnung entstanden ist. So viel Mut hätte ich mir vorher gar nicht zugetraut. Wie schon bei der vorangegangenen Zeichnung wollte ich auch hier Farbe verwenden, doch letztlich empfand ich die Linien aussagekräftig genug.
"Und war’s das?", höre ich alle begeisterten Besucher von Mailand fragen. Ja, zu mehr hat mich die Metropole nicht inspiriert. Mailands Charme und Flair – so sie existieren – gingen spurlos an mir vorüber. Obwohl die Besucherströme verglichen mit anderen italienischen Städten überschaubar waren, erschien mir die Stadt sehr "touristisch". Ich entdeckte keine gemütlichen Plätzchen, die zum Verweilen einluden. Schaffte ich es in ein Café, erschreckten mich erstens die exorbitanten Preise und zweitens die meisten Kellner, die mir das Gefühl vermitteln, ich würde sie davon abhalten, irgend wem noch mehr Geld für einen simplen Aperol Spritz abzuknöpfen. Wirklich freundlich waren nur die Autofahrer, die für Fußgänger tatsächlich stehen blieben – keine Selbstverständlichkeit in Italien. Dennoch, nächstes Mal fahre ich nach Padua.