Was die ÖBB unter Luxus versteht

Heuer bin ich erstmals innerhalb von Italien mit dem Zug unterwegs gewesen. In meiner Kindheit hatten wir einige abenteuerliche Erfahrungen mit der italienischen Eisenbahn. Das hat mich geprägt, denn meine größte Angst war, nicht rechtzeitig von Mailand nach Vicenza zu gelangen, wo meine organisierte Rundreise beginnen sollte. Die Zeiten haben sich geändert. Man braucht sich heute nicht mehr Sorgen machen, ob man in Italien pünktlich von A nach B kommt, sondern ob einem die ÖBB nach und aus Italien befördert.

Auf dem Ticket machte die Zugfahrt nach Mailand noch einen sehr guten Eindruck. Alleine im Schlafwagen Deluxe-Abteil mit eigener Dusche und WC – wenn das kein Luxus ist! Abfahrt 19:23, Ankunft am Bahnsteig 19:15, angekündigte Verspätung 10 Minuten. Diese Zeitspanne benötigt man als Luxusabteilbenutzer ohnehin, denn das Abteil befindet sich laut Wagenstandsanzeige in dem Wagon, der ganz weit hinten am Ende des Bahnsteigs stehen wird. (Interessanter Weise verhält es sich beim Ankunftsbahnhof ebenfalls immer so.) Kaum war ich dort, sprang die Anzeige auf 20 Minuten Verspätung und eine weibliche Stimme teilte uns das auch via Lautsprecher in deutscher und englischer Sprache mit. Interessanter Weise verriet sie uns kurz darauf ebenfalls zweisprachig, daß der Zug nach Mailand nun auf Gleis 8 zur Abfahrt bereitstehen würde. Nur, da war kein Zug! Stattdessen ertönte eine erneute Durchsage, die über eine Verspätung von mittlerweile 30 Minuten informierte und gleich darauf erwähnte, daß der nach wie vor nicht sichtbare Zug zur Abfahrt bereitstehen würde. Das wiederholte sich alle paar Minuten. Ich hatte mir vor dem Reiseantritt in der Lounge ein Glas Wein gegönnt, das jetzt einen unangenehmen Druck auf meine Blase verursachte. Was nutzt einem das Deluxe-Abteil mit eigener Toilette, wenn sie nicht da ist! Als sich die Verspätung bereits auf 55 Minuten und die Ankündigungen vom unsichtbaren bereitstehenden Zug auf 10 summiert hatten, wurde es gespenstisch. Plötzlich fuhr aus dem Nichts, ohne Vorwarnung, ohne Ankündigung auf den Anzeigetafeln, ohne Durchsage in irgendeiner Sprache ein Zug auf Gleis 8 ein. Der Ratlosigkeit der Reisenden folgte die Panik: Ist das nun mein Zug nach Italien? Wo genau ist jetzt der Wagon mit meiner Nummer? Bin ich hier wirklich richtig? Fährt der Zug gleich ab oder bleibt er noch einige Zeit am Bahnsteig stehen? Wer nicht das Glück gehabt hatte, als einer der ersten auf ein etwas überforderte wirkendes Zugpersonal zu stürzen und es mit Fragen und Vorwürfen zu überhäufen, der mußte sein Reisegepäck schnappen und selbständig herausfinden, ob und wie er mit diesem Zug nun an sein Ziel kommen könne. Aber dafür reist man ja Deluxe, was man jedoch beginnt in Frage zu stellen, sobald man das Abteil näher betrachtet. Es ist offensichtlich von Zwergen für Zwerge gebaut worden. Weder mein Koffer noch ich sind besonders groß oder besonders schwer – dachte ich – doch wir schafften es nur mit Mühe in dieses Abteil. Natürlich hatte ich keine Suite erwartet, in der ich eine Cocktailparty geben würde, aber sich unbeschadet umdrehen zu können, wäre schon nett gewesen. Für die Rückfahrt von Venedig nach Wien hatte ich wieder so ein Abteil gebucht, sollte es jedoch mit meiner Reisebegleitung teilen. Zum Glück hatten wir nicht noch eine dritte Person eingeplant. Für die hätten wir nicht einmal Platz gehabt, wenn es sich um einen gepäcklosen Einwohner von Liliput gehandelt hätte. Allerding war es ohnehin fraglich, ob wir Venedig je verlassen würden.

Der ÖBB Zug, der um 21:04 abfahren sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal im Bahnhof Venedig St. Lucia eingetroffen. Für Schlafwagenpassagiere ein Alptraum, da sich die Wagone – wie könnte es auch anders sein – ganz am Ende des Bahnsteigs befinden. Wer nicht weiß, auf welchem Bahnsteig er pünktlich losmarschieren muß, kommt in die unangenehme Lage innerhalb kürzester Zeit mit seinem Gepäck einen flotten Sprint hinlegen zu müssen. Die Ankunft unseres Zuges mußten wir wieder erraten, was diesmal leichter war, da es der einzige ÖBB Zug war und sämtliche Menschen in ÖBB-Uniformen, die zuvor neben uns gesessen waren, in diesem Zug verschwanden. Wir privilegierten Luxusreisende machten uns also auf den langen Weg zum Wagon. Noch zwei Schritte mehr und wir wären schon in Mestre gewesen. So standen wir, und standen und standen. Es gibt auf den Bahnsteigen weiter hinten keine Bänke. Der Zug war da, die Passagiere waren draußen, die Zugbegleiter waren drinnen. Natürlich kam keiner von ihnen auf die Idee, uns darüber zu informieren, wann wir endlich unsere Deluxe-Abteile, mit der sehnsüchtig erwarteten eigenen Dusche, würden benutzen können. Erst später erbarmte sich ein Zugbegleiter, indem er uns deutete, es würde gleich so weit sein. 10 Minuten danach verließ der Zug wieder das Gleis, ohne daß ein einziger Reisender hatte einsteigen können! Das war vielleicht ein Anblick! Eine Viertelstunde später kam der Zug so mysteriös wie er verschwunden war wieder zurück und wir durften nach über einer Stunde Rumstehen endlich den puren Luxus genießen. Mit der Dusche war es erst einmal nichts, denn im Abteil gab es kein Duschgel. Die Dame, die angeblich für unseren Wagon zu ständig war, meinte, es sei ihr eh aufgefallen, daß das fehlt. Gut zu wissen, wie aufmerksam man im Luxusbereich betreut wird. Statt zu duschen, füllten wir halt die Menükarte fürs Frühstück aus. Daraus wurde gleichfalls nichts, da von den zwei Karten eine bereits vom Vorbenutzer des Abteils ausgefüllt worden war. Den lernten wir überhaupt viel näher kennen, als uns lieb war. Während wir auf das Duschgel sowie die neue Menükarte warteten, entdeckten wir noch seine benutzten Gläser und später dann unter der Dusche seine Haare, die dort immer noch an der Wand klebten. Die ÖBB hat halt eine ganz eigenwillige Definition von Luxus.

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